Der Mann von f?nfzig Jahren

Der Major war in den Gutshof hereingeritten, und Hilarie, seine Nichte, stand schon, um ihn zu empfangen, au?en auf der Treppe, die zum Schlo? hinauffuhrte. Kaum erkannte er sie; denn schon war sie wieder gro?er und schoner geworden. Sie flog ihm entgegen, er druckte sie an seine Brust mit dem Sinn eines Vaters, und sie eilten hinauf zu ihrer Mutter.

Der Baronin, seiner Schwester, war er gleichfalls willkommen, und als Hilarie schnell hinwegging, das Fruhstuck zu bereiten, sagte der Major freudig:»Diesmal kann ich mich kurz fassen und sagen, da? unser Geschaft beendigt ist. Unser Bruder, der Obermarschall, sieht wohl ein, da? er weder mit Pachtern noch Verwaltern zurechtkommt. Er tritt bei seinen Lebzeiten die Guter uns und unsern Kindern ab; das Jahrgehalt, das er sich ausbedingt, ist freilich stark; aber wir konnen es ihm immer geben: wir gewinnen doch noch fur die Gegenwart viel und fur die Zukunft alles. Die neue Einrichtung soll bald in Ordnung sein. Da ich zunachst meinen Abschied erwarte, so sehe ich doch wieder ein tatiges Leben vor mir, das uns und den Unsrigen einen entschiedenen Vorteil bringen kann. Wir sehen ruhig zu, wie unsre Kinder emporwachsen, und es hangt von uns, von ihnen ab, ihre Verbindung zu beschleunigen.»

«Das ware alles recht gut«, sagte die Baronin,»wenn ich dir nur nicht ein Geheimnis zu entdecken hatte, das ich selbst erst gewahr worden bin. Hilariens Herz ist nicht mehr frei; von

«Du mu?t erst ein wenig sinnen und raten«, versetzte die Baronin und vermehrte dadurch seine Ungeduld. Sie war schon aufs hochste gestiegen, als Hilarie, mit den Bedienten, welche das Fruhstuck trugen, hereintretend, eine schnelle Auflosung des Ratsels unmoglich machte.

Der Major selbst glaubte das schone Kind mit andern Augen anzusehn als kurz vorher. Es war ihm beinahe, als wenn er eifersuchtig auf den Begluckten ware, dessen Bild sich in einem so schonen Gemut hatte eindrucken konnen. Das Fruhstuck wollte ihm nicht schmecken, und er bemerkte nicht, da? alles genau so eingerichtet war, wie er es am liebsten hatte und wie er es sonst zu wunschen und zu verlangen pflegte.

Uber dieses Schweigen und Stocken verlor Hilarie fast selbst ihre Munterkeit. Die Baronin fuhlte sich verlegen und zog ihre Tochter ans Klavier; aber ihr geistreiches und gefuhlvolles Spiel konnte dem Major kaum einigen Beifall ablocken. Er wunschte das schone Kind und das Fruhstuck je eher je lieber entfernt zu sehen, und die Baronin mu?te sich entschlie?en, aufzubrechen und ihrem Bruder einen Spaziergang in den Garten vorzuschlagen.

Kaum waren sie allein, so wiederholte der Major dringend seine vorige Frage; worauf seine Schwester nach einer Pause lachelnd versetzte:»Wenn du den Glucklichen finden willst, den sie liebt, so brauchst du nicht weit zu gehen, er ist ganz in der Nahe: dich liebt sie.»

Der Major stand betroffen, dann rief er aus:»Es ware ein sehr unzeitiger Scherz, wenn du mich etwas uberreden wolltest, das mich im Ernst so verlegen wie unglucklich machen wurde. Denn ob ich gleich Zeit brauche, mich von meiner Verwunderung zu erholen, so sehe ich doch mit einem Blicke voraus, wie sehr unsere Verhaltnisse durch ein so unerwartetes Ereignis gestort werden mu?ten. Das einzige, was mich trostet, ist die Uberzeugung, da? Neigungen dieser Art nur scheinbar sind, da? ein Selbstbetrug dahinter verborgen liegt, und da? eine echte, gute Seele von dergleichen Fehlgriffen oft durch sich selbst oder doch wenigstens mit einiger Beihulfe verstandiger Personen gleich wieder zuruckkommt.»

«Ich bin dieser Meinung nicht«, sagte die Baronin;»denn nach allen Symptomen ist es ein sehr ernstliches Gefuhl, von welchem Hilarie durchdrungen ist.»

«Etwas so Unnaturliches hatte ich ihrem naturlichen Wesen nicht zugetraut«, versetzte der Major.

«Es ist so unnaturlich nicht«, sagte die Schwester.»Aus meiner Jugend erinnere ich mich selbst einer Leidenschaft fur einen alteren Mann, als du bist. Du hast funfzig Jahre; das ist immer noch nicht gar zu viel fur einen Deutschen, wenn vielleicht andere, lebhaftere Nationen fruher altern.»

«Wodurch willst du aber deine Vermutung bekraftigen?«sagte der Major.

«Es ist keine Vermutung, es ist Gewi?heit. Das Nahere sollst du nach und nach vernehmen.»

Hilarie gesellte sich zu ihnen, und der Major fuhlte sich, wider seinen Willen, abermals verandert. Ihre Gegenwart deuchte ihn noch lieber und werter als vorher; ihr Betragen schien ihm liebevoller, und schon fing er an, den Worten seiner Schwester Glauben beizumessen. Die Empfindung war fur ihn hochst angenehm, ob er sich gleich solche weder gestehen noch erlauben wollte. Freilich war Hilarie hochst liebenswurdig, indem sich in ihrem Betragen die zarte Scheu gegen einen Liebhaber und die freie Bequemlichkeit gegen einen Oheim auf das innigste verband; denn sie liebte ihn wirklich und von ganzer Seele. Der Garten war in seiner vollen Fruhlingspracht, und der Major, der so viele alte Baume sich wieder belauben sah, konnte auch an die Wiederkehr seines eignen Fruhlings glauben. Und wer hatte sich nicht in der Gegenwart des liebenswurdigsten Madchens dazu verfuhren lassen!

So verging ihnen der Tag zusammen; alle hauslichen Epochen wurden mit der gro?ten Gemutlichkeit durchlebt; abends nach Tisch setzte sich Hilarie wieder ans Klavier; der Major horte mit andern Ohren als heute fruh; eine Melodie schlang sich in die andere, ein Lied schlo? sich ans andere, und kaum vermochte die Mitternacht die kleine Gesellschaft zu trennen.

Als der Major auf seinem Zimmer ankam, fand er alles nach seiner alten, gewohnten Bequemlichkeit eingerichtet; sogar einige Kupferstiche, bei denen er gern verweilte, waren aus andern Zimmern herubergehangt; und da er einmal aufmerksam geworden war, so sah er sich bis auf jeden einzelnen kleinen Umstand versorgt und geschmeichelt.

Nur wenige Stunden Schlaf bedurfte er diesmal; seine Lebensgeister waren fruh aufgeregt. Aber nun merkte er auf einmal, da? eine neue Ordnung der Dinge manches Unbequeme nach sich ziehe. Er hatte seinem alten Reitknecht, der zugleich die Stelle des Bedienten und Kammerdieners vertrat, seit mehreren Jahren kein boses Wort gegeben: denn alles ging in der strengsten Ordnung seinen gewohnlichen Gang; die Pferde waren versorgt und die Kleidungsstucke zu rechter Stunde gereinigt; aber der Herr war fruher aufgestanden, und nichts wollte passen.

Sodann gesellte sich noch ein anderer Umstand hinzu, um die Ungeduld und eine Art boser Laune des Majors zu vermehren. Sonst war ihm alles an sich und seinem Diener recht gewesen; nun aber fand er sich, als er vor den Spiegel trat, nicht so, wie er zu sein wunschte. Einige graue Haare konnte er nicht leugnen, und von Runzeln schien sich auch etwas eingefunden zu haben. Er wischte und puderte mehr als sonst und mu?te es doch zuletzt lassen, wie es sein konnte. Auch mit der Kleidung und ihrer Sauberkeit war er nicht zufrieden. Da sollten sich immer noch Fasern auf dem Rock und noch Staub auf den Stiefeln finden. Der Alte wu?te nicht, was er sagen sollte, und war erstaunt, einen so veranderten Herrn vor sich zu sehen.

Ungeachtet aller dieser Hindernisse war der Major schon fruh genug im Garten. Hilarien, die er zu finden hoffte, fand er wirklich. Sie brachte ihm einen Blumenstrau? entgegen, und er hatte nicht den Mut, sie wie sonst zu kussen und an sein Herz zu drucken. Er befand sich in der angenehmsten Verlegenheit von der Welt und uberlie? sich seinen Gefuhlen, ohne zu denken, wohin das fuhren konne.

Die Baronin gleichfalls saumte nicht lange zu erscheinen, und indem sie ihrem Bruder ein Billet wies, das ihr eben ein Bote gebracht hatte, rief sie aus.»Du ratst nicht, wen uns dieses Blatt anzumelden kommt.«—»So entdecke es nur bald!«versetzte der Major; und er erfuhr, da? ein alter theatralischer Freund nicht weit von dem Gute vorbeireise und fur einen Augenblick einzukehren gedenke.»Ich bin neugierig, ihn wiederzusehen«, sagte der Major;»er ist kein Jungling mehr, und ich hore, da? er noch immer die jungen Rollen spielt.«—»Er mu? um zehn Jahre alter sein als du«, versetzte die Baronin. — »Ganz gewi?«, erwiderte der Major,»nach allem, was ich mich erinnere.»

Es wahrte nicht lange, so trat ein munterer, wohlgebauter, gefalliger Mann herzu. Man stutzte einen Augenblick, als man sich wiedersah. Doch sehr bald erkannten sich die Freunde, und Erinnerungen aller Art belebten das Gesprach. Hierauf ging man zu Erzahlungen, zu Fragen und zu Rechenschaft uber; man machte sich wechselsweise mit den gegenwartigen Lagen bekannt und fuhlte sich bald, als ware man nie getrennt gewesen.

Die geheime Geschichte sagt uns, da? dieser Mann in fruherer Zeit, als ein sehr schoner und angenehmer Jungling, einer vornehmen Dame zu gefallen das Gluck oder Ungluck gehabt habe; da? er dadurch in gro?e Verlegenheit und Gefahr geraten, woraus ihn der Major eben im Augenblick, als ihn das traurigste Schicksal bedrohte, glucklich herausri?. Ewig blieb er dankbar, dem Bruder sowohl als der Schwester; denn diese hatte durch zeitige Warnung zur Vorsicht Anla? gegeben.

Einige Zeit vor Tische lie? man die Manner allein. Nicht ohne Bewunderung, ja gewisserma?en mit Erstaunen hatte der Major das au?ere Behaben seines alten Freundes im ganzen und einzelnen betrachtet. Er schien gar nicht verandert zu sein, und es war kein Wunder, da? er noch immer als jugendlicher Liebhaber auf dem Theater erscheinen konnte. — »Du betrachtest mich aufmerksamer als billig ist«, sprach er endlich den Major an;»ich furchte sehr, du findest den Unterschied gegen vorige Zeit nur allzu gro?.«—»Keineswegs«, versetzte der Major,»vielmehr bin ich voll Verwunderung, dein Aussehen frischer und junger zu finden als das meine; da ich doch wei?, da? du schon ein gemachter Mann warst, als ich, mit der Kuhnheit eines wagehalsigen Gelbschnabels, dir in gewissen Verlegenheiten beistand.«—»Es ist deine Schuld«, versetzte der andere,»es ist die Schuld aller deinesgleichen; und ob ihr schon darum nicht zu schelten seid, so seid ihr doch zu tadeln. Man denkt immer nur ans Notwendige; man will sein und nicht scheinen. Das ist recht gut, solange man etwas ist. Wenn aber zuletzt das Sein mit dem Scheinen sich zu empfehlen anfangt und der Schein noch fluchtiger als das Sein ist, so merkt denn doch ein jeder, da? er nicht ubel getan hatte, das Au?ere uber dem Innern nicht ganz zu vernachlassigen.«—»Du hast recht«, versetzte der Major und konnte sich fast eines Seufzers nicht enthalten. — »Vielleicht nicht ganz recht«, sagte der bejahrte Jungling;»denn freilich bei meinem Handwerke ware es ganz unverzeihlich, wenn man das Au?ere nicht so lange aufstutzen wollte, als nur moglich ist. Ihr andern aber habt Ursache, auf andere Dinge zu sehen, die bedeutender und nachhaltiger sind.«—»Doch gibt es Gelegenheiten«, sagte der Major,»wo man sich innerlich frisch fuhlt und sein Au?eres auch gar zu gern wieder auffrischen mochte.»

Da der Ankommling die wahre Gemutslage des Majors nicht ahnen konnte, so nahm er diese Au?erung im Soldatensinne und lie? sich weitlaufig daruber aus: wie viel beim Militar aufs Au?ere ankomme und wie der Offizier, der so manches auf seine Kleidung zu wenden habe, doch auch einige Aufmerksamkeit auf Haut und Haare wenden konne.

«Es ist zum Beispiel unverantwortlich«, fuhr er fort,»da? Eure Schlafe schon grau sind, da? hie und da sich Runzeln zusammenziehen und da? Euer Scheitel kahl zu werden droht. Seht mich alten Kerl einmal an! betrachtet, wie ich mich erhalten habe! und das alles ohne Hexerei und mit weit weniger Muhe und Sorgfalt, als man taglich anwendet, um sich zu beschadigen oder wenigstens Langeweile zu machen.»

Der Major fand bei dieser zufalligen Unterredung zu sehr seinen Vorteil, als da? er sie so bald hatte abbrechen sollen; doch ging er leise und selbst gegen einen alten Bekannten mit Behutsamkeit zu Werke. — »Das habe ich nun leider versaumt!«rief er aus,»und nachzuholen ist es nicht; ich mu? mich nun schon darein ergeben, und Ihr werdet deshalb nicht schlimmer von mir denken.»

«Versaumt ist nichts!«erwiderte jener,»wenn ihr andern ernsthaften Herren nur nicht so starr und steif waret, nicht gleich einen jeden, der sein Au?eres bedenkt, fur eitel erklaren und euch dadurch selbst die Freude verkummern mochtet, in gefalliger Gesellschaft zu sein und selbst zu gefallen.«—»Wenn es auch keine Zauberei ist«, lachelte der Major,»wodurch ihr andern euch jung erhaltet, so ist es doch ein Geheimnis, oder wenigstens sind es Arcana, dergleichen oft in den Zeitungen gepriesen werden, von denen ihr aber die besten herauszuproben wi?t.«—»Du magst im Scherz oder im Ernst reden«, versetzte der Freund,»so hast du's getroffen. Unter den vielen Dingen, die man von jeher versucht hat, um dem Au?eren einige Nahrung zu geben, das oft viel fruher als das Innere abnimmt, gibt es wirklich unschatzbare, einfache sowohl als zusammengesetzte Mittel, die mir von Kunstgenossen mitgeteilt, fur bares Geld oder durch Zufall uberliefert und von mir selbst ausgeprobt worden. Dabei bleib' ich und verharre nun, ohne deshalb meine weitern Forschungen aufzugeben. So viel kann ich dir sagen, und ich ubertreibe nicht: ein Toilettenkastchen fuhre ich bei mir, uber allen Preis! ein Kastchen, dessen Wirkungen ich wohl an dir erproben mochte, wenn wir nur vierzehn Tage zusammenblieben.»

Der Gedanke, etwas dieser Art sei moglich und diese Moglichkeit werde ihm gerade in dem rechten Augenblicke so zufallig nahe gebracht, erheiterte den Geist des Majors dergestalt, da? er wirklich schon frischer und munterer aussah und, von der Hoffnung, Haupt und Gesicht mit seinem Herzen in Ubereinstimmung zu bringen, belebt, von der Unruhe, die Mittel dazu bald naher kennen zu lernen, in Bewegung gesetzt, bei Tische ein ganz anderer Mensch erschien, Hilariens anmutigen Aufmerksamkeiten getrost entgegenging und auf sie mit einer gewissen Zuversicht blickte, die ihm heute fruh noch sehr fremd gewesen war.

Hatte nun durch mancherlei Erinnerungen, Erzahlungen und gluckliche Einfalle der theatralische Freund die einmal angeregte gute Laune zu erhalten, zu beleben und zu vermehren gewu?t, so wurde der Major um so verlegener, als jener gleich nach Tische sich zu entfernen und seinen Weg weiter fortzusetzen drohte. Auf alle Weise suchte er den Aufenthalt seines Freundes, wenigstens uber Nacht, zu erleichtern, indem er Vorspann und Relais auf morgen fruh andringlich zusagte. Genug, die heilsame Toilette sollte nicht aus dem Hause, bis man von ihrem Inhalt und Gebrauch naher unterrichtet ware.

Der Major sah sehr wohl ein, da? hier keine Zeit zu verlieren sei, und suchte daher gleich nach Tische seinen alten Gunstling allein zu sprechen. Da er das Herz nicht hatte, ganz gerade auf die Sache loszugehen, so lenkte er von weitem dahin, indem er, das vorige Gesprach wieder auffassend, versicherte: er fur seine Person wurde gern mehr Sorgfalt auf das Au?ere verwenden, wenn nur nicht gleich die Menschen einen jeden, dem sie ein solches Bestreben anmerken, fur eitel erklarten und ihm dadurch sogleich wieder an der sittlichen Achtung entzogen, was sie sich genotigt fuhlten an der sinnlichen ihm zuzugestehen.

«Mache mich mit solchen Redensarten nicht verdrie?lich!«versetzte der Freund;»denn das sind Ausdrucke, die sich die Gesellschaft angewohnt hat, ohne etwas dabei zu denken, oder, wenn man es strenger nehmen will, wodurch sich ihre unfreundliche und mi?wollende Natur ausspricht. Wenn du es recht genau betrachtest: was ist denn das, was man oft als Eitelkeit verrufen mochte? Jeder Mensch soll Freude an sich selbst haben, und glucklich, wer sie hat. Hat er sie aber, wie kann er sich verwehren, dieses angenehme Gefuhl merken zu lassen? Wie soll er mitten im Dasein verbergen, da? er eine Freude am Dasein habe? Fande die gute Gesellschaft, denn von der ist doch hier allein die Rede, nur alsdann diese Au?erungen tadelhaft, wenn sie zu lebhaft werden, wenn des einen Menschen Freude an sich und seinem Wesen die andern hindert, Freude an dem ihrigen zu haben und sie zu zeigen, so ware nichts dabei zu erinnern, und von diesem Uberma? ist auch wohl der Tadel zuerst ausgegangen. Aber was soll eine wunderlich-verneinende Strenge gegen etwas Unvermeidliches? Warum will man nicht eine Au?erung la?lich und ertraglich finden, die man denn doch mehr oder weniger sich von Zeit zu Zeit selbst erlaubt? ja, ohne die eine gute Gesellschaft gar nicht existieren konnte: denn das Gefallen an sich selbst, das Verlangen, dieses Selbstgefuhl andern mitzuteilen, macht gefallig, das Gefuhl eigner Anmut macht anmutig. Wollte Gott, alle Menschen waren eitel, waren es aber mit Bewu?tsein, mit Ma? und im rechten Sinne: so wurden wir in der gebildeten Welt die glucklichsten Menschen sein. Die Weiber, sagt man, sind eitel von Hause aus; doch es kleidet sie, und sie gefallen uns um desto mehr. Wie kann ein junger Mann sich bilden, der nicht eitel ist? Eine leere, hohle Natur wird sich wenigstens einen au?ern Schein zu geben wissen, und der tuchtige Mensch wird sich bald von au?en nach innen zu bilden. Was mich betrifft, so habe ich Ursache, mich auch deshalb fur den glucklichsten Menschen zu halten, weil mein Handwerk mich berechtigt, eitel zu sein, und weil ich, je mehr ich es bin, nur desto mehr Vergnugen den Menschen schaffe. Ich werde gelobt, wo man andere tadelt, und habe, gerade auf diesem Wege, das Recht und das Gluck, noch in einem Alter das Publikum zu ergotzen und zu entzucken, in welchem andere notgedrungen vom Schauplatz abtreten oder nur mit Schmach darauf verweilen.»

Der Major horte nicht gerne den Schlu? dieser Betrachtungen. Das Wortchen Eitelkeit, als er es vorbrachte, sollte nur zu einem Ubergang dienen, um dem Freunde auf eine geschickte Weise seinen Wunsch vorzutragen; nun furchtete er, bei einem fortgesetzten Gesprach das Ziel noch weiter verruckt zu sehen, und eilte daher unmittelbar zum Zweck.

«Fur mich«, sagte er,»ware ich gar nicht abgeneigt, auch zu deiner Fahne zu schworen, da du es nicht fur zu spat haltst und glaubst, da? ich das Versaumte noch einigerma?en nachholen konne. Teile mir etwas von deinen Tinkturen, Pomaden und Balsamen mit, und ich will einen Versuch machen.»

«Mitteilungen«, sagte der andere,»sind schwerer, als man denkt. Denn hier z. B. kommt es nicht allein darauf an, da? ich dir von meinen Flaschchen etwas abfulle und von den besten Ingredienzien meiner Toilette die Halfte zurucklasse; die Anwendung ist das Schwerste. Man kann das Uberlieferte sich nicht gleich zu eigen machen; wie dieses und jenes passe, unter was fur Umstanden, in welcher Folge die Dinge zu gebrauchen seien, dazu gehort Ubung und Nachdenken; ja selbst diese wollen kaum fruchten, wenn man nicht eben zu der Sache, wovon die Rede ist, ein angebornes Talent hat.»

«Du willst, wie es scheint«, versetzte der Major,»nun wieder zurucktreten. Du machst mir Schwierigkeiten, um deine freilich etwas fabelhaften Behauptungen in Sicherheit zu bringen. Du hast nicht Lust, mir einen Anla?, eine Gelegenheit zu geben, deine Worte durch die Tat zu prufen.»

«Durch diese Neckereien, mein Freund«, versetzte der andere,»wurdest du mich nicht bewegen, deinem Verlangen zu willfahren, wenn ich nicht selbst so gute Gesinnungen gegen dich hatte, wie ich es ja zuerst dir angeboten habe. Dabei bedenke, mein Freund, der Mensch hat gar eine eigne Lust, Proselyten zu machen, dasjenige, was er an sich schatzt, auch au?er sich in andern zur Erscheinung zu bringen, sie genie?en zu lassen, was er selbst genie?t, und sich in ihnen wiederzufinden und darzustellen. Furwahr, wenn dies auch Egoismus ist, so ist er der liebenswurdigste und lobenswurdigste, derjenige, der uns zu Menschen gemacht hat und uns als Menschen erhalt. Aus ihm nehme ich denn auch, abgesehen von der Freundschaft, die ich zu dir hege, die Lust, einen Schuler in der Verjungungskunst aus dir zu machen. Weil man aber von dem Meister erwarten kann, da? er keine Pfuscher ziehen will, so bin ich verlegen, wie wir es anfangen. Ich sagte schon: weder Spezereien noch irgendeine Anweisung ist hinlanglich; die Anwendung kann nicht im Allgemeinen gelehrt werden. Dir zuliebe und aus Lust, meine Lehre fortzupflanzen, bin ich zu jeder Aufopferung bereit. Die gro?te fur den Augenblick will ich dir sogleich anbieten. Ich lasse dir meinen Diener hier, eine Art von Kammerdiener und Tausendkunstler, der, wenn er gleich nicht alles zu bereiten wei?, nicht in alle Geheimnisse eingeweiht ist, doch die ganze Behandlung recht gut versteht und fur den Anfang dir von gro?em Nutzen sein wird, bis du dich in die Sache so hineinarbeitest, da? ich dir die hoheren Geheimnisse endlich auch offenbaren kann.»

«Wie!«rief der Major,»du hast auch Stufen und Grade deiner Verjungungskunst? Du hast noch Geheimnisse fur die Eingeweihten?«—»Ganz gewi?!«versetzte jener.»Das mu?te gar eine schlechte Kunst sein, die sich auf einmal fassen lie?e, deren Letztes von demjenigen gleich geschaut werden konnte, der zuerst hereintritt.»

Man zauderte nicht lange, der Kammerdiener ward an den Major gewiesen, der ihn gut zu halten versprach. Die Baronin mu?te Schachtelchen, Buchschen und Glaser hergeben, sie wu?te nicht wozu; die Teilung ging vor sich, man war bis in die Nacht munter und geistreich zusammen. Bei dem spateren Aufgang des Mondes fuhr der Gast hinweg und versprach, in einiger Zeit zuruckzukehren.

Der Major kam ziemlich mude auf sein Zimmer. Er war fruh aufgestanden, hatte sich den Tag nicht geschont und glaubte nunmehr das Bett bald zu erreichen. Allein er fand statt eines Dieners nunmehr zwei. Der alte Reitknecht zog ihn nach alter Art und Weise eilig aus; aber nun trat der neue hervor und lie? merken, da? die eigentliche Zeit, Verjungungs- und Verschonerungsmittel anzubringen, die Nacht sei, damit in einem ruhigen Schlaf die Wirkung desto sicherer vor sich gehe. Der Major mu?te sich also gefallen lassen, da? sein Haupt gesalbt, sein Gesicht bestrichen, seine Augenbrauen bepinselt und seine Lippen betupft wurden. Au?erdem wurden noch verschiedene Zeremonien erfordert; sogar sollte die Nachtmutze nicht unmittelbar aufgesetzt, sondern vorher ein Netz, wo nicht gar eine feine lederne Mutze ubergezogen werden.

Дальше